Der Elefant im Zimmer. Über Machtmissbrauch und Widerstand.
Essay, 2020
Erhältlich als Taschenbuch wie als eBook bei Penguin Verlag

Warum deckt eine Kirchenbehörde einen Kardinal, von dem intern seit Jahrzehnten bekannt ist, dass er Schüler und Novizen sexuell missbraucht? Warum will in einem Untersuchungsausschuss nicht mal die Opposition den kommerziellen Fehltritt einer Ministerin wirklich aufklären? Und warum akzeptieren Schriftsteller in einer Akademie ein Verbot von Dichterlesungen?

„Man hat mich gefragt, warum ich, die Romanautorin, das Thema nicht fiktiv behandle.

Antwort, erstens: Da ich bei diesem Thema Partei ergreife, wollte ich mich weder der Gefahr noch dem Vorwurf aussetzen, Fabeln im Sinne meiner These zu produzieren. Auch mir kann ein Balken ins Auge geraten. Falls das geschieht, bin ich durch die realen Fakten und Texte korrigierbar.

Zweitens: Das Thema Macht ist psychisch so herausfordernd und politisch so brisant, dass kritische Autoren früherer Zeiten schon zum Selbstschutz ihre Protagonisten in historische Gewänder hüllen mussten. Unser heutiges Problem ist nicht, dass wir zu wenig wissen oder sagen dürften, sondern dass wir vieles nicht wissen wollen, weil es den aktuellen Kriterien der Eigenliebe widerspricht. Wir überschätzen wieder Autoritäten, sind zu Gehorsam bereit und nehmen auch dreisten Machtmissbrauch hin, geben das aber nicht zu und wundern uns stattdessen lieber zum tausendsten Mal über den Nazi-Irrsinn. Verleugnung aber lässt sich nicht durch Verhüllung aufdecken, sondern nur in einem Spiegel.

Drittens ist Wirklichkeit für mich eine Fortsetzung der Kunst mit anderen Mitteln. Über die moralischen Dilemmata hinaus zeigen die Szenarien vielschichtige, fesselnde Geschichten. Die erkundeten Milieus waren so exotisch und die Verwicklungen so reich an Widersprüchen und bestürzenden wie komischen Pointen, dass ich sie als Erfinderin nicht hätte toppen können. Auch hätte mir niemand geglaubt.“

Petra Morsbach